Hannes: 31 Jahre | Sein Baby Niklas: Im Sommer 1 Jahr
Profisport und Baby? Schlie?t sich das nicht aus?
Profisport und Babys sind ein Thema, bei dem erfahrungsgem?? wenige Menschen direkt mitreden k?nnen. Vermutlich, weil die meisten Profisportler eher jung und daher die meisten noch nicht in der Elternrolle stecken. Für Hannes als Leistungssportler ist das ?Vater sein“ eine neue Herausforderung, aber er fühlt sich in dieser neuen Rolle eigentlcih ziemlich wohl.
Aber lest selbst…
Im Sommer 2019 haben Leni und ich einen kleinen Niklas bekommen. Als hauptberuflicher Leistungssportler (Kanuslalom) war bereits die Schwangerschaft von Leni eine besondere Situation für mich. Denn schon vor der Geburt ging es damit los, dass auf einmal alles komplizierter wurde, denn als Sportler bin ich normalerweise sehr viel unterwegs. Je nachdem, wie Wettk?mpfe und Trainingslager über die Saison verteilt sind, kommt man dabei meist auf 150-200 Reisetage im Jahr.
Nach über 10 Jahren an der Weltspitze geh?ren für mich die vielen Reisetage natürlich zur Routine, die Aufregung und der Stress vor jedem Wettkampf bleiben aber trotzdem unver?ndert. Der Sommer war für mich deshalb nicht nur wegen der Geburt unseres ersten Kindes ein besonderer, sondern auch sportlich gesehen sehr wichtig, da zu diesem Zeitpunkt die Qualifikationswettk?mpfe für die Olympischen Spiele in Tokio 2020 stattfanden (dass ein Jahr sp?ter Aufgrund von Corona alles anders kam, konnte ja damals noch niemand ahnen)
Besondere Sorgen machte mir deshalb der voraussichtliche Geburtstermin von unserem kleinen Niklas, der inmitten einer wichtigen Wettkampfphase lag.
Zu dieser Jahreszeit fanden einige entscheidende Wettk?mpfe statt, weshalb ich nach Trainings- und Wettkampfplan so gut wie immer unterwegs sein sollte. Somit sollten in etwa zum Zeitpunkt der Geburt die ersten Erfolge eines Projektes eingefahren werden, an dem ich schon seit 3 Jahren hart arbeitete.
So sch?n Leistungssport auch sein mag, in dieser Situation war ich mit dem knallharten Leistungsgedanken konfrontiert. Natürlich besteht auch als Profisportler die M?glichkeit, Wettk?mpfe und Trainingslager abzusagen. Man wird ja zu nichts gezwungen. In diesem Fall h?tte es aber den Verzicht auf die Olympischen Spiele bzw. die Qualifikation dafür bedeutet. Denn der Konkurrenz ist es schlie?lich egal, ob ich am Wettkampftag krank bin, eine schlechte Leistung abliefere oder eben bei der Geburt meines Kindes dabei sein will – am Ende z?hlt nur das Ergebnis.
Mit diesem Wissen war für mich von Anfang an klar, dass es nicht leicht werden wird, sowohl dem Sport als auch dem Kind gerecht zu werden und am Tag der Geburt bei ihm sein zu k?nnen. Schlie?lich will ich ja nicht nur ein guter Sportler, sondern auch ein guter Vater sein. Ich versuchte also w?hrend der Trainingslager immer abreisebereit zu sein, falls sich abzeichnete, dass der kleine Niklas bald kommen würde.
Bereits am n?chsten Morgen musste ich die n?chste Reise zurück ins Trainingslager antreten, um mich auf die Olympiaqualifikation vorzubereiten. Trotzdem war ich sehr froh, dass sich der kleine Niklas dazu entschieden hat w?hrend meines Trainingslagers zu kommen und nicht w?hrend eines Wettkampfes. Somit musste ich glücklicherweise keine Entscheidung für die Geburt oder die Olympischen Spiele treffen.
Auch nach der Geburt ging es gleich weiter mit Trainingslagern und Wettk?mpfen zur Olympiaqualifikation. Von den ersten schlaflosen N?chten mit Babygeschrei bekam ich somit nur sehr wenig mit, da ich nach wie vor viel unterwegs war. Einerseits habe ich die n?chtliche Ruhe in Hotelzimmern natürlich genossen, aber andererseits fand ich es auch sehr schade, einen Teil dieser Zeit verpasst zu haben. Die Zeit, in der das eigene Kind noch ein ?Baby“ ist, vergeht schlie?lich sehr schnell.
Sportlich gesehen haben sich die famili?ren Entbehrungen jedoch gelohnt. Wenige Wochen nach der Geburt konnte ich mir bei der Weltmeisterschaft in Spanien endlich mein Ticket für die Olympischen Spiele in Tokio sichern. Ich war sehr glücklich darüber, mich nach 2012 und 2016 zum dritten Mal für die Olympischen Spiele zu qualifizieren, wusste aber auch, dass damit die anstrengende Reisezeit noch lange nicht vorbei war. Leni und ich waren uns einig, dass es in den ersten Wochen sowohl für uns als auch für den kleinen Niklas zu viel Stress gewesen w?re, mit zu meinen Wettk?mpfen in Spanien oder Japan zu kommen. Somit war meine Familie die ersten Wochen zuhause, w?hrend ich zu Wettk?mpfen und Trainingslagern gereist bin. Ich war sehr froh über diese L?sung, denn ohne eine so fürsorgliche Mutter wie sie Leni ist, h?tte ich nicht ohne weiteres so viel und oft verreisen k?nnen. Zudem konnten wir uns glücklicherweise immer auf die Unterstützung unserer Familien verlassen, was die Situation nach wie vor extrem erleichtert.
Insgesamt hatte der ambitionierte Wettkampfkalender zur Folge, dass ich in den ersten 11 Wochen nur etwas mehr als 20 Tage zuhause bei Leni und Niklas sein konnte. Auch mit allen neuen technischen M?glichkeiten der Kommunikation ist es doch sehr schade, wenn man sein wenige Wochen altes Kind nur auf Fotos und Videos anschauen kann, w?hrend man selbst in einem anderen Land oder sogar einem anderen Kontinent im Trainingslager ist.
Auch mit allen neuen technischen M?glichkeiten der Kommunikation ist es doch sehr schade, wenn man sein wenige Wochen altes Kind nur auf Fotos und Videos anschauen kann, w?hrend man selbst in einem anderen Land oder sogar einem anderen Kontinent im Trainingslager ist.
Immerhin hat es anfangs scheinbar nur mir etwas ausgemacht, für mehrere Tage oder Wochen in ein Trainingslager zu verreisen. Bis der kleine Niklas die ersten Reaktionen zeigte, vergingen viele Wochen.
Nach einem 3-w?chigen Trainingslager Ende Oktober war es dann endlich so weit, unser erster gemeinsamer Urlaub im bayerischen Wald stand bevor. Als Kanute bin ich es gewohnt, bei Reisen viel Gep?ck dabei zu haben, da das Sportequipment einiges an Platz beansprucht. Umso mehr war ich überrascht wie viel Gep?ck wir für unseren kleinen Passagier eingepackt hatten, als das Auto für unseren Aufenthalt beladen war. Der Urlaub war zudem auch ein Test, bei dem wir herausfinden konnten, wie reiselustig unser kleiner Niklas ist. Wir waren sehr erleichtert, dass ihm weder die Autofahrt noch die vorübergehend neue Umgebung im Urlaub etwas ausmachten.
Nach diesen Erfahrungen im Bayerischen Wald entschlossen wir uns dazu, dass mir Leni und Niklas Ende Februar in das Trainingslager in Australien nachreisen sollten.
W?hrend ich im Urlaub die Zeit mit Baby sehr genie?en konnte, waren in der anschlie?enden Trainingsphase die verkürzten N?chte und die zum Teil fehlenden Tiefschlafphasen sehr anstrengend und brachten mich an meine physischen Grenzen. Obwohl der Winter gr??tenteils wettkampffrei ist, wird in dieser Zeit der gr??te Trainingsumfang absolviert. Auch ohne ein schreiendes Kind im Schlafzimmer ist diese Trainingsphase sehr anstrengend, somit hatte ich nachts ?fters ?Fluchtgedanken“ auf die Couch im Wohnzimmer. Nach einigen Wochen hartem Training und wenig Schlaf war die Ersch?pfung dann tats?chlich so gro?, dass ich einzelne N?chte auf die Couch ausweichen musste. Obwohl Leni dafür stets Verst?ndnis hatte, ist es mir schwer gefallen die kostbaren N?chte zuhause in einem anderen Zimmer zu schlafen.
Ende Januar 2020 sollte für mich der Reisemarathon bis zu den Olympischen Spielen im Juli beginnen. Bei dem ersten 6-w?chigen Trainingslager in Australien haben Leni und ich uns darauf geeinigt, dass es am sinnvollsten w?re, wenn Leni und Niklas mir nach drei Wochen nach Australien folgen würden. Glücklicherweise ist Leni abenteuerlustig genug, um allein mit einem 6 Monate alten Baby um die ganze Welt zu fliegen.
Am Flughafen in Sydney haben wir uns dann das erste Mal seit 3 Wochen wiedergesehen. Es war wundersch?n, im Trainingslager meine kleine Familie mit dabei zu haben und so die Entwicklungsschritte weiterhin hautnah mitzuerleben. Als Leni und Niklas zu mir nach Australien kamen, hat Niklas zum Beispiel erstmals Brei und Ziegenmilch bekommen. Auch motorisch entwickelte sich Niklas ab diesem Zeitpunkt sehr schnell weiter.
Nach unserer Rückkehr Mitte M?rz hat sich mein Athletenalltag allerdings stark ver?ndert. Aufgrund der Coronapandemie sollte das Trainingslager in Australien für viele Monate das letzte gewesen sein. Nach und nach wurden fast alle Trainingslager und Wettk?mpfe der Saison 2020 verschoben oder abgesagt.
Zum ersten Mal seit der Schulzeit war ich mehrere Wochen zuhause und konnte jeden Tag mit meiner Familie verbringen. Der kleine Niklas hat die in dieser Zeit die Entwicklung vom Robben bis zum Laufen durchlebt und viele weitere Dinge gelernt. Als ich im Juli erstmals seit über drei Monaten für ein paar Tage zum Training verreiste, konnte der kleine Mann schon zum Abschied winken.
Es ist atemberaubend, in welcher Geschwindigkeit die sichtbaren Entwicklungsschritte nun stattfanden. So konnte er z.B. nach dem besagten Trainingslager auf einmal laufen, ohne mit den Armen zu balancieren. Wenige Tage sp?ter konnte er dann sogar schon rückw?rtslaufen. Mittlerweile kann der kleine Mann schon winken und ?Tschüss“ (oder zumindest so etwas ?hnlich Lautendes) sagen.
Der erste Geburtstag war ein gelungener Abschluss von einem wundersch?nen ersten Lebensjahr. Ich bin froh, dass ich an diesem Lebensabschnitt doch noch so viel teilhaben konnte und freue mich auf die Zeit mit dem kleinen Niklas, die uns noch bevorsteht.